Im Wein liegt die Wahrheit
Akt 1:Ein Essen und eine Leiche
Inspektor Norbert Neusüß war froh als er die Einladung
seiner Freundin Sarah Finelli bekommen hatte, Heiligabend doch mit ihrer
Familie zu verbringen. Er kannte sie seit sie vor 40 Jahren hier angekommen war
und das Weingut gekauft hatte, welches sie nach und nach zu einem schönen
Familiensitz ausgebaut hatte. Sie hatte als erste im Tal eine italienische
Sorte mit einer einheimischen gekreuzt und diese neue Sorte war schnell von
Prominenten entdeckt worden und hatte seiner Freundin einiges an Reichtum
beschert. Er war mit mittlerweile über sechzig Jahren eingefleischter
Junggeselle und hätte daher den heutigen Abend alleine verbracht.
Er war unschlüssig was er tragen sollte, denn Sarah hatte
ihn schon eher bestellt, weil sie mit ihm etwas besprechen wollte. Er hatte
sich für Hemd, Weste und Sakko entschieden wie er es jahrelang auf der Arbeit
getragen hatte. Bei der Mordkommission
wusste man auch nie wen man traf, also hatte er sich dieses Outfit
zugelegt, was irgendwie immer passte. Nun lenkte er seinen Wagen über die
Brücke über die Mosel, welche der einzige Zugang zu dem Wein gut war. Ein Grund
warum keiner der anderen Weinbauern das Gelände damals haben wollte und Sarah
es kaufen konnte. Er stellte den Wagen auf den kleinen Parkplatz und schritt
zur Hauptpforte. Kurz nachdem er die Klingel betätigt hatte, öffnete ihm schon
Martha, die gute Seele des Hauses. Offiziell war sie nur die Köchin, aber über
die Jahre war sie mehr zu einer Freundin für Sarah und einer Ersatzmutter für
ihre beiden Kinder Vega und Marcello geworden.
Martha begrüßte ihn und bedeutete ihm mit einer Geste ins
Haus zu treten. „Guten Tag, Herr Inspektor. Die anderen sind schon da, ich bin
gespannt wie sie die Neuigkeiten verdauen.“
Die Neuigkeiten waren gleich zwei: Sarah Finelli wollte sich
erstens nach all den Jahren im nächsten Jahr aus dem Geschäft zurücktreten und
zweitens die Geschäfte ihrer Tochter Vega und ihrem Mann übertragen. So hatte
sie es jedenfalls dem Inspektor bei einem Essen Anfang des Monats gesagt. Das
war eine Überraschung gewesen, denn Vega arbeitete als Lehrerin und ihr Mann
war bei einer Bank in Köln. Außerdem arbeitete ihr Sohn Marcello seit Jahren im
Familienbetrieb mit. Der Mitzwanziger hatte auf einem anderen Weingut eine
Lehre gemacht und war dann sofort in den Familienbetrieb eingestiegen. Heute am
Weihnachtsabend, wenn alle zusammen waren, wollte sie es ihren Kindern sagen.
Der Inspektor betrat das Haus und ging mit Martha Richtung
Speisezimmer. Davor telefonierte Marcello. Es war wohl ein hitziges Gespräch
mit einem Lieferanten wie der Inspektor den Satzfetzen entnehmen konnte.
Der Inspektor betrat das Speisezimmer. Er sah die lange
Tafel an deren Kopf seine Freundin Sarah saß. Rechts von ihr saßen Vega und ihr
Mann Jan. Der Platz links von ihr war frei und der Stuhl daneben gehörte wohl
Marcello. Als Sarah ihn sah, stand sie auf um ihren Freund zu begrüßen. Dabei
stieß sie versehentlich ihr Weinglas um. „Ispettore, willkommen.“, sagte sie um
dann auf Italienisch über das Missgeschick zu fluchen. Die gute Marta eilte
schon mit einem Tuch herbei, um die weiße Flut einzudämmen.
Sarah ging rechts um den Tisch herum, schnappte sich zwei volle Weingläser und
reichte eins davon dem Inspektor.
„Schön, dass du es
geschafft hast.“, sagte sie und stieß mit ihm an.
„Schön, dass ich dabei sein darf, wenn du die
Neuigkeiten verkündest.“, sagte der Inspektor.
Sofort drehte sich Jan um. „Was denn für
Neuigkeiten?“, wollte er wissen.
„Du hast Ihnen noch nicht gesagt, dass du ihnen
heute was mitteilen möchtest?“, fragte der Inspektor.
„Nein, noch nicht. Ich wollte damit bis nach dem
Essen warten.“, sagte Sarah und begleitete den Inspektor zu seinem Platz zu
ihrer linken.
Nachdem Martha das Chaos mit dem Weinglas beseitigt hatte,
trug sie den ersten Gang – eine italienische Gemüsesuppe – hinein. Dies
veranlasste nun auch Marcello seinen Platz einzunehmen. Beim Essen bemerkte der
Inspektor eine nervöse Spannung. Sicherlich ahnten die Gäste was es für eine
Neuigkeit sein würde. Wohl aber nicht, dass es eine Überraschung geben würde.
Gerade Jan Scherke, der Mann von Vega, guckte immer wieder zu seiner Frau. Der
Inspektor hatte Sarah letztes Jahr auf die Hochzeit der beiden begleitet, die
etwas überstürzt im engsten Familienkreis stattfand. Als er dort zum Rauchen
vor die Tür ging, hörte er wie Jan mit seinem Vater sprach, dass er jetzt bald
ein Weingut erben würde. Nun würde heute verkündet werden, dass seine Frau und
er das Weingut schon zu Lebzeiten leiten würde.
Auch Marcello zur Linken des wirkte nervös. Dies verwunderte
den Inspektor, denn Marcello hatte ja gar nicht mitbekommen, dass es heute Neuigkeiten
gab.
Der Inspektor durchbrach die angespannte Stille: „Marcello,
Streit am Telefon? Oder ist Weinbau auch an Weihnachten ein Fulltime-Job?“
„Eher das Letztere. Ein Spediteur will die Preise
erhöhen – aber ich habe ihm klargemacht, dass wir uns an die alten Konditionen
halten.“
Nun schaltete sich Sarah ein: „Dann können wir ja
jetzt das Weihnachtsfest genießen.“
Sie hob das Glas und wünschte allen ein Frohes
Weihnachtsfest. Dann setzte sie das Glas an ihre Lippen und trank. Eine Minute
später sackte sie auf ihrem Stuhl tot zusammen.
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